Bauhaus des Volkes / Das "Haus des Volkes" des Franz Itting (1875-1967)

Oben: streng rechter Winkel vom Stuhl bis in die Stahlbeton-Unterzüge sowie Vollverglasung: betonte Funktionalität im Restaurant des "Haus des Volkes"

Auf der niedrigsten Nord-Süd-Durchquerung des Thüringer Waldes, an der Grenze zu Franken, liegt Probstzella. Wie eine herrschaftliche Festung überragt ein ungewöhnliches Gebäude den kleinen Ort: das „Haus des Volkes“, errichtet und ausgestattet von den Bauhäuslern Alfred und Gertrud Arndt 1927.
Wie im Falle des Faguswerkes des Carl Benscheidt in Alfeld an der Leine verdanken wir dieses Zeugnis vom Aufbruch in die Moderne einem sozial und fortschrittlich eingestellten Unternehmer.

Haus des Volkes, Probstzella (1927)

Fries und Erker ohne Dekor auf der Fassade

Der erste Blick: eine Enttäuschung. Wer auf den Spuren des Bauhauses in Probstzella anlandet, hat anderes erwartet: eher Flachdach statt Walmdach, eher liegende statt stehende Fenster, eher reduzierte Funktionalität statt Türmchen auf dem Dach. Keinen Spur von Würfel, statt dessen rätselhafte senkrechte Betonstreben vor der Fassade, dreieckige und runde glattverputzte Erker und ein dekorloser vorspringender Fries als Abschluss nach oben. Die Hülle des Gebäudes scheint nicht Fisch nicht Fleisch, und erschließt sich heute auch bei einem Rundgang um das Gebäude nur schwer.
Haus des Volkes, Treppenhaus

Dennoch ist Probstzella eine Reise wert, denn sowohl innen, von den Treppenhäusern über die Beschriftungen und Farbfassungen bis zu den Möbeln, als auch außen herum, mit dem Park, dem Kiosk und einem Café-Pavillon, gibt es klassische Moderne von großer Authentizität zu erleben.
Des Rätsels Lösung liegt in der Planungs- und Auftragsgeschichte des Gebäudes. Alfred Arndt wurde vom Bauherren erst mit der Ausführung seines sozialen Großprojektes beauftragt, als Planungen, Fundamente und Genehmigungen bereits für ein historisierendes Gebäude mit den damals üblichen Erkern, Türmchen etc abgeschlossen waren – auch dies übrigens eine interessante Parallele zur Entstehungsgeschichte des Gropius’schen Werks in Alfeld – wenngleich unter umgedrehten Vorzeichen. In Alfeld nämlich war Gropius für die Außenhülle zuständig, und der ursprünglich planende Architekt Eduard Werner gestaltete das Innere.
Typografie von Alfred Arndt

So mußten sich Alfred (1898-1976) und Gertrud Arndt (1903-2000) in das Vorgegebene einfügen. Erst mit dem ebenfalls von Itting beauftragten Garagenbau zum Haus des Volkes, der nun endlich auch in den Fokus der Bauhaus-Forschung rückt, sowie mit dem Pavillon und dem Kiosk hatte Arndt freie Hand. Das Haus des Volkes selbst wirkt wie in geometrische Grundformen überführter Historismus.
Alfred Arndt war von 1921 bis 1932 sowohl Schüler als auch Meister des Bauhauses gewesen, Gertrud studierte in Weimar und Dessau von 1923-1927 und begleitete die Geschichte des Bauhauses später als Fotografin. Ihren Wunsch, am Bauhaus eine Ausbildung zur Architektin zu absolvieren, konnte sie nicht realisieren, obwohl sie bereits in Erfurt eine Lehre in einem Architekturbüro absolviert hatte.
Die Geschichte dieses Hauses und der Familie Itting ist eine eigene Geschichte. Es ist die Geschichte eines idealistischen Unternehmers und Sozialdemokraten, der seinem Heimatort ein Kultur- und Erholungszentrum bauen wollte, mit Festsaal und Kino-Technik, mit Hotel- und Restaurantbetrieb und einer üppig ausgestatteten Parkanlage für die Freiluftsaison. Es ist aber auch die bittere Geschichte von Not, Inhaftierung und Vertreibung  erst durch die Nazionalsozialisten (als Sozialdemokrat), dann durch die DDR (als Unternehmer), und die Geschichte von Rückgrat, Unbeugsamkeit und Neuanfang.
Nachbildung der Gefängnisräume, in denen Franz Itting einsaß

Eine Geschichte, die bis in die späten 60er-Jahre der Bundesrepublik hineinreicht. Diese komplexe Geschichte ist im Haus des Volkes in einer sehr schön gestalteten und gut kuratierten Ausstellung nachzulesen und nachzuerleben. Darauf sei an dieser Stelle hingewiesen – wenngleich sich dieser Artikel auf die gestalterischen Aspekte dieses Baudenkmals beschränken möchte.
Gartenzwerg und Bauhaus: Probstzella

Wer mit dem Zug anreist, nähert sich dem Gebäude von der Hauptstraße aus, durch die Toreinfahrt eines Fachwerkhauses hindurch. Wer mit dem Auto anreist, kann den schmalen Weg die steilen Hänge hinauf finden bis zur Einfahrt in den Park. Ein Schild mit Gartenzwergen weist auf das „Bauhaus-Hotel“ hin. Kein Zweifel, wir sind in Thüringen.
Kiosk von Alfred Arndt

Die Parkanlage, nördlich des Gebäudes  steilen Hängen des Thüringer Waldes abgetrotzt, beeindruckt durch ihre Weitläufigkeit. Neben einem Kneipp-Becken, Rundwegen und einer Konzertmuschel fallen ein wunderschöner verklinkerter und messingverkleideter Kiosk auf, der schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. Seine horizontalen Schiebe-Rolladen gingen verloren, und so harrt er, wie es scheint, noch seiner restauratorischen Befundung und denkmalgerechten Sanierung.
Café-Pavillon

Blick vom Pavillon auf den Bahnhof von Probstzella

Der Pavillon von unten

Weiterhin, gen Osten, auf einer Anhöhe, ebenfalls von Alfred Arndt, der Café-Pavillon: strenge reduzierte Geometrie, die pastos gehaltene originale Farbigkeit wiederhergestellt, mit grandiosem Blick hinunter in das Tal. In diesen beiden kleinen Bauwerken erfüllt der Architekt die Erwartungen des auf den Spuren des Bauhauses Reisenden nun erstmals ungebrochen.
Flachdach unter Polymerschaum

Beim Gang um das Hauptgebäude herum fällt auf, dass der umbaute Raum noch größer ist als er erscheint, da große Teile als seitliche Anbauten ausgeführt sind, die von der Straße aus nicht einsichtig sind – mit Flachdach. Diese großen Dachflächen sind heute mit einem modernen, weissen, dicken und welligen Polymer-Schaum abgedichtet, der zunehmend verdreckt und veralgt und nicht schön ausschauen ist. Auch wird dieses Material allen Beteuerungen der Hersteller und Handwerker zum Trotz nicht viel länger Frost und harter UV-Strahlung widerstehen als die klassische Schweissbahn! Hier wäre eine Begrünung dringend angeraten, zum einen aus ästhetischen Gründen, zum andern um die wasserführende Schicht vor direktem Sonnenlicht und Vereisung zu schützen.
Ratschläge dieser Art sind natürlich wohlfeil. Denn das Haus des Volkes ist ein Baudenkmal von enormen Dimensionen, dessen originalgetreue Wiederherstellung, Sanierung und Unterhalt große Summen verschlingt. Es ist dem heutigen Eigentümer, dem Unternehmer Dieter Nagel aus Probstzella, hoch anzurechnen, dass er 2003 das marode Gebäude aus einem Konkurs übernommen hat und heute als Hotel mit Restauration weiterführt.
Dieter Nagel / Eigentümer

Denn ein „Investor“ ist er sicher nicht –  wer investiert, schaut auf Rendite, und wer auf Rendite schaut, kauft kein Denkmal dieser Dimension. Schon gar nicht in Probstzella. Dieter Nagel ist ein Idealist, der die Ideen des Franz Itting weiterführt. Befragt, warum er soviel Geld in dieses Objekt steckt, das er doch nie wieder sehen werde, lautet seine  Antwort: „So ist das mit einem Hobby. Man gibt das Geld aus und erfreut sich an der Sache, ob es nun eine Angelrute, ein Urlaub oder ein Bauhaus-Denkmal ist. Ich habe mich für letzteres entschieden.“
Das „Bauhaus-Hotel“ ist heute wieder eine Sommer-Destination und gut besucht von Gästen, die Ruhe und naturnahe Erholung suchen. Weniger von Menschen auf der Suche nach den Spuren des Bauhauses. Dies führt zu Kompromissen in der Ausstattung des Hotel.  So zieren zum Beispiel zahlreiche Blümchen, bunte Töpfe und kleine Kakteen die Arndtschen Fensterbänder, und ein Nagelfilzboden, der dem Schallschutz dient, ersetzt den historischen Linoleumboden.
Café-Pavillon aus dem Restaurant heraus fotografiert. Die Blumentöpfe vorab entfernt

Dieter Nagel ist sich des Konfliktes bewußt. Gerade im Hinblick auf das Bauhaus Jubiläum 2019 setzt er zu recht auch auf genuinen, internationalen Bauhaus-Tourismus, andrerseits ist kaum zu erwarten, dass dieser dauerhaft dem Hotel die Auslastung generieren wird, die für den Betrieb erforderlich ist. Und die „normalen“ Gäste schätzen nunmal Blümchen und Teppichboden …
So ist das „Haus des Volkes“ bis heute tatsächlich ein Haus des Volkes. Nicht nur für wandernde Touristen, auch für die Bürger Probstzellas. Der große Saal unter dem Dach des Gebäudes, von Itting mit Kinotechnik und von den Arndts mit sehr eleganten Stahlrohr-Klappstühlen ausgestattet, ist bis heute der größte Versammlungssaal des kleinen Ortes, was zu Fasching und anderen feierlichen Anlässen genutzt wird. Leider hat man zu DDR-Zeiten den ursprünglich offenen Dachstuhl – ein Betonrippen-Tonnengewölbe mit spektakulär großen Oberlichtern im First – mit spießigen Holzpaneelen abgehängt.
Der Festsaal mit Urbestuhlung

Dieser Eingriff in die Originalsubstanz ist der massivste in der Geschichte des Hauses, er verändert die Raumwirkung enorm. Um die Raum- und Lichtwirkung des Originalzustandes wiederzuerlangen ist hier meines Erachtens ein Rückbau alternativlos. Im Vorfeld des Bauhaus100-Jubiläums sollte dem Eigentümer jede Unterstützung durch Staat und Bund zukommen, den wichtigsten Raum des Gebäudes wieder erlebbar zu machen, wie Alfred Arndt ihn geplant hatte!
Betonte Funktionalität in rot

Kugelleuchten vor blau

Davon abgesehen ist der subjektive Eindruck: viel originale Fassungen und Ausstattungen, teils erhalten, teils wiederhergestellt aufgrund historischer Befunde. Dies gilt gleichermaßen für die Stühle und Kugellampen im „Blauen Saal“, die kantige Formsprache der Zimmermöbel oder die die Funktionalität betonenden Farben der Wände und Bauelemente.
Man darf festhalten: die Spießigkeit der hartnäckigen DDR-Tristesse so mancher Gasthäuser im Thüringer Wald verjagt die Arndtsche Form- und Farbensprache mit Erfolg – mit oder ohne bunten kleinen Blumentöpfen auf den Fensterbänken. Dem Projekt ist zu wünschen, dass Dieter Nagel und sein Bürgermeister Sven Mechtold im Kielwasser des anlaufenden Bauhaus-Fiebers Partner finden und Ideen entwicklen werden, das Gebäude konsequent als ein Denkmal der Klassischen Moderne rückzubauen und wiederzubeleben.
Probstzellas Bürgermeister Sven Mechtold (links) und Dieter Nagel vor einem Foto von Alfred und Gertrud Arndt

Nachtrag:
Garagenbau in historischer Aufnahme

Ein weiteres Gebäude von Alfred Arndt in Probstzella ist der Garagenbau zum „Haus des Volkes“, der inzwischen auch im Blickfeld der Forschung und Denkmalpflege liegt. Das Gebäude ist in Nutzung, zugleich etwas verwahrlost und zur Zeit nicht begehbar. Es wurde teilweise aufgestockt und mit einem Pultdach versehen. Es bleibt spannend zu sehen, welche gestalterischen Details auch hier noch im Innern zu entdecken sind.
Garagenbau Probstzella heute (2017)

 
 
 
 
 
 
 
 

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