„Der Würfel war Trumpf und seine Seiten waren gelb, rot, blau, weiß, grau, schwarz… Als Bauhausleiter bekämpfte ich den Bauhausstil“
Hannes Meyer, 1930
Hat ein Haus ein Flachdach, sitzen die Fenster asymetrisch in den Ecken und wird auf jegliches Dekor verzichtet, ist das Urteil schnell gemacht: „Bauhaus-Stil“. So richtig die Beobachtung sein mag, steckt doch in diesem Begriff gleich zweimal der Wurm!
Denn erstens: Das Bauhaus wollte gar kein Stil sein.
Schon zwei Jahrzehnte vor dem Bauhaus – und parallel zu diesem auch anderswo – beanspruchte die architektonische und gestalterische Avantgarde der Nuller-, 10er und 20er Jahre des letzten Jahrhunderts vielmehr, auf der Spur einer „objektiven“ Formensprache und einer „exakten“ Form zu sein:
„Wir werden noch lange brauchen, um die exakte Form eines Tisches, eines Stuhles, eines Hauses zu erkennen.“ schrieb Henry van de Velde schon 1903, und die Charta von Athen unter Federführung von Le Corbusier beschimpfte noch gut dreissig Jahre später die klassischen akademische Ausbildung als „Dogma, welches die Grundlagen des Bauens verleugnet“ (1933). Mit dem Untergang der alten feudalen Gesellschaftsordnungen sollten auch deren gestalterischen Prinzipien untergehen – vom Klassizismus bis zum Jugendstil – , und etwas Neues entstehen, was zeitlos und international gültig sei. Kein neuer Stil war gesucht, sondern das Ende aller Stile und Moden.
Zweitens handelt es sich beim sogenannten Bauhaus-Stil aber auch nicht um einen Bauhaus-Stil in dem Sinne, dass das Bauhaus das Flachdach, die Asymmetrie und den Würfel erfunden hätte. In vielen Ländern Europas entstanden zu dieser Zeit diese modernen Ideen des Bauens, teilweise noch vor der Gründung des Bauhauses. Das bekannteste Beispiel ist die de Stijl –Bewegung (sprich: de-steil) in Holland. Sie wurde bereits zwei Jahre vor dem Bauhaus 1917 gegründet und ihr gehörten radikalmoderne Künstler an wie Piet Mondrian oder Theo van Doesburg.
Das Bauhaus in Weimar aber war die erste Institution, die erste Ausbildungsstätte in diesem radikalen und modernen Geiste. Die von Walter Gropius 1919 gegründete Schule zog viele Künstler an, sie saugte viele Ideen auf und entwickelte sie weiter, auch im funktionalen und sozialen Sinne. In Weimar und Dessau entwickelte sich das Bauhaus zur wichtigste Institution dieser revolutionären Bewegung des Gestaltens – wie unter einem Brennglas, unter dem sich Ideen fokusieren, konkretisieren und verändern. Aber das Bauhaus hat diese Ideen nicht erfunden, es hat auch den Würfel nicht erfunden. Niemand hat den Würfel erfunden.
Denn der Würfel und die Schlichtheit war schon immer da (in vielen Architekturen des Südens zum Beispiel), und überall in Europa von Paris bis nach Sankt Petersburg entdeckten die Künstler die Abstraktion und den Kubus als elementare Form.
Das Bauhaus aber hat – zusammen mit Le Corbusier – den Kubus zur Ikone der Moderne gemacht, und in diesem Sinne kann man vom „Bauhausstil“ reden. In diesem Sinne aber umfasst das Bauhaus-Erbe auch jene Architekturen, die nicht unmittelbar von den Schülern und Meistern des Bauhauses selbst geplant und realisiert wurden. Sondern ebenso auch jene, die – und sofern sie – aus einer radikalen Haltung im Geiste des Aufbruchs in eine Neue Zeit geschaffen wurden.
Für eine Architektur, die nicht nur schlicht und schön ist, sondern auch Arbeitsabläufe optimiert, Kosten minimiert, Licht ins Haus lässt und überhaupt die Interessen der Menschen, die in ihr leben und arbeiten, reflektiert. Gerade auch im gewerblichen Bau.
So wie der Milchhof in Arnstadt (1928) von Martin Schwarz.