Zehn Jahre behutsame Sanierung des Milchhof Arnstadt – Zentrum eines neuen Quartiers

Im Sommer 2014 beräumten wir erstmalig den Milchhof, damals noch eine Ruine mit undichten und eingestürzten Dächern, von Schutt und Bewuchs und veranstalten eine Fotoausstellung. Im Dezember 2014 gründete sich die Baudenkmal Milchhof Arnstadt GmbH mit dem Ziel, den Milchhof als herausragendes Baudenkmal der Moderne wiederherzustellen und neue Nutzungen zu entwickeln.

Nach zehn Jahren ist der Milchhof Arnstadt im Rohbau wiederhergestellt, zuletzt konnten wir mit Hilfe der Thüringer Staatskanzlei und des Landesamtes für Denkmalschutz an der repräsentativen Südfassade die Rampe wiederherstellen – als lichte und überdachte Aufwertung der nach Süden ausgerichteten Veranstaltungsräume. Insgesamt verfügt der Milchhof über 1.200 m2 Nutzfläche über drei Etagen und 3.000 m2 Grundstücksfläche.

Arnstadt und die Region zwischen Erfurt und Ilmenau ist heute ein wirtschaftlicher Hotspot, mit zahlreichen neuen Industrieansiedlungen am Erfurter Kreuz. Ein wichtiger Standortfaktor, insbesondere für die Attraktion von Mitarbeitern und Fachpersonal, ist die Lebensqualität, die eine Stadt bietet.

Der Milchhof Arnstadt ist geeignet, ein Kristallisationskeim für neues städtisches Leben in einem neuem Stadtquartier zu werden. Im Rahmen der Bewerbung für die Landesgartenschau 2028 hat die Stadt Arnstadt 2021 begonnen, das Quartier Am Mühlgraben, in dessen Mitte der Milchhof sich befindet, zu beplanen und die Voraussetzungen zu schaffen für ein neues Stadtviertel.

Die aktuellen Planungen gehen dorthin, den Milchhof zu einem Manufakturzentrum für lokal produzierte Lebensmittel zu machen. Kaffee rösten, Pasta machen, Brot backen, Bier brauen – Produktion, Verkauf und Genuss unter einem Dach. Interessenten sind herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden.

Der Milchhof zählt heute zu den wichtigsten Baudenkmälern der MODERNE in Deutschland und ist Teil der Grand Tour der Moderne. Wir bedanken uns beim Bund, bei der Thüringer Staatskanzlei, dem Landesamt für Denkmalpflege, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Ilm-Kreis für die erfahrene Unterstützung.

Eine kleine Chronologie des Milchhofs von 1928 bis heute in Bildern:

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Mehr Schande als Fleck? Die Verachtung historischer Bausubstanz und die Ideologie der Moderne in Deutschland

Eine Analyse mit Handlungsperspektive

(Titelbild: Kammgarnspinnerei Wernshausen, errichtet 1836-1920, Abriss 2009, © TLDA)

Wir bauen eine neue Gesellschaft, aber diese Gesellschaft darf nicht in die Gehäuse der alten kriechen.
Hans Sharoun, Stadtbaudirektor Berlin 1945/46

Verfasser: Jan Kobel, Judith Rüber, im Januar 2021

A_Abstract / Zusammenfassung und Nachweiszweck:

1) Von allen baulichen Zeugnissen, auf die Deutschland zurückblicken kann, ist ein Gebäudetypus am meisten von Zerstörung bedroht: die Industriearchitektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Kein anderer Typus steht so oft leer und kein anderer Leerstand bedeutet so schnell Abriss. 
Damit gehen nicht nur Jahr für Jahr wertvolle Architekturen und Denkmäler verloren, die von der Geschichte einer Industriekultur zeugen, die Deutschland bis heute prägt. Diese Abrisse sind auch in ökologischer Hinsicht unverantwortlich, da der Erhalt und die Wiederherstellung dieser Gebäude ein vielfaches nachhaltiger ist als ihr Abriss und eventuelle Neubauten. Schließlich sind diese Fabrikarchitekturen durch keinen Neubau zu übertreffen was ihren Erlebnis- und Nutzwert angeht für Wohnen, Handel, Kunst und Gewerbe. 

2) Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, Deutschland zahlreiche Beispiele erfolgreicher Umnutzungen von Industriekulturen vorweisen kann, ist der Abriss dieser Gebäude nicht gestoppt. Das liegt an zwei Gründen, wie diese Abhandlung nachweisen will: 
Zum einen an einem gebrochenem Verhältnis der deutschen Baukultur zu ihrer eigenen Geschichte, die durch zwei politisch-moralische Zusammenbrüche im 20. Jahrhundert geprägt ist, die andere europäische Staaten so nicht erlebten. Dabei kommt der Ideologie und dem Absolutheitsanspruch der Moderne eine nicht unerhebliche Rolle zu: Schön und gut ist bis heute nur, was neu ist!
Zum anderen der ungebrochenen Bereitschaft des Bundes und der Länder, erhebliche Mittel für sog. „Brachenberäumungen“ zur Verfügung zu stellen. Das erscheint problematisch vor allem deshalb, weil diese Mittel ausgeschüttet werden völlig getrennt davon, inwiefern die durch diese Gelder ins Werk gesetzten Abrisse tatsächlich ihrem Anspruch, Flächen „wiederzubeleben“, gerecht werden. Wie gezeigt werden kann, sind diese Mittel nicht nur Voraussetzung für viele Abrissprojekte, sondern ihr Motor. Bund und Ländern kommt hier eine Verantwortung zu, die nur selten diskutiert wird.

3) Deshalb kann ein ernsthafter Versuch, dem deutschen Abrisswahn gegen (nicht nur, aber insbesondere) die unwiederbringlichen Industriearchitekturen unseres Landes entgegenzutreten, nur darin bestehen, die Fokussierung auf denkmalpflegerische Aspekte auszuweiten auch auf Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit, der gewerblichen Nutzungspotenziale und der positiven sozialen Folgeeffekte für Städte und Kommunen. Zugleich muss es gelingen, die Bundes- und Landesbehörden von der wirtschaftspolitischen und stadtplanerischen Schädlichkeit ihrer Vergabepolitik zu überzeugen. Eine Petition an den Deutschen Bundestag ist in Vorbereitung.

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Der MILCHHOF ARNSTADT und was daraus werden soll

Die Baudenkmal Milchhof Arnstadt GmbH ist Trägerin eines Sanierungsprojektes im Sinne der Denkmalpflege. Sie hat das Ziel, den Milchhof Arnstadt als ein herausragendes Beispiel der Klassischen Moderne denkmalgerecht wiederherzustellen. Es wurde mit öffentlichen Mittel in seinem baulichen Bestand gesichert, und soll nun mit einer gemischten touristisch-kulturellen Nutzung seiner 1.200 m2 Fläche  dauerhaft erhalten werden.

(Stand: März 2022; dieser Beitrag wird fortlaufend ergänzt)

Das Nutzungskonzept sieht vor:
1. Ort für kulturelle und touristische Veranstaltungen  (EG / 445 m2)
2. Drei hochwertige Ferienwohnungen „Wohnen in der Klassischen Moderne“ (OG / 227 m2)
3. Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst (EG / 174m2)
4. Vier Ateliers für Künstler / Werkstätten für Handwerker (ST / 160m2)
5. Büro-, Besprechungs-, und kleine Tagungsräume (OG / 157 m2)
6. Kino- und Kleinkunstbühne mit bis zu 50 Sitzplätzen (EG / 73 m2)
7. Sommercafé auf der Dachterrasse (30 m2)
8. 2100 m2 Aussenanlagen als Park und Skulpturengarten
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Die Gera, ihre Auen und der MühlgrabenEin Winterspaziergang durch das Quartier des Milchhofs

 

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Verstrüppt und unzugänglich, der Fluß im Sommer unsichtbar: Gera-Promenade am Zusammenfluss Weisse und Gera.

„Nur wenige Ortschaften bieten in unmittelbarer Nähe so viele anmuthige Promenaden von mannichfachem Charakter, wie Arnstadt. Berg und Thal, Wald und Feld, reizende Gärten und schattige Alleen – und alles vom Silberband der Gera durchflochten!“ /
aus: Arnstadt Sool- und Flußbad, Heinrich Schwert, 1856 //

Die komplette Bildergalerie eines winterlichen Spaziergangs entlang der Gera gibt es hier.

(Aus aktuellen Anlass veröffentlichen wir diesen Artikel über das Quartier, in dessen Mitte der Milchhof steht, auch auf dieser Plattform, nachdem er zuerst am 31. Januar 2016 auf www.arnstadt-wohin.de erschienen ist.)

Thüringen verfügt über eine reiche Kultur-Landschaft, auch im wörtlichen Sinne: Bis heute ist die gelungene Gestaltung der Landschaft und der städtischen Aussenflächen und Reviere aus vergangenen Jahrhunderten vielerorts spürbar.

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Fünf Gründe für die Platte …

Hinschauen oder wegschauen? Mit jedem abgerissenen Block – hier Leipzig 2007 – wächst die Erkenntnis, dass mehr verschwindet als ein paar Scheiben Beton. Egal ob Denkmal der Klassischen Moderne oder Plattenbau aus den 70ern, wir müssen die Stadt weiterbauen und umgestalten. Aber nicht abreissen und uns einbilden, dass besser wird, was wir danach neu errichten. Nur aus dem respektvollen Dialog mit dem Gewachsenen entsteht Geborgenheit.

„Seit Anfang der Moderne macht der Architekt erst einmal Tabula rasa, und setzt dann seine neuen Gebäude auf’s Grundstück. Mit diesem falschen Bild im Kopf leben wir noch“  Muck Petzet

… oder warum wir (auch) Plattenbauten nicht mehr abreißen sollten

Der Münchner Architekt Muck Petzet macht vor wenigen Jahren Schlagzeilen, als er auf der Architekturbiennale in Venedig 2012 im Deutschen Pavillon seine architektonische Trias „Reduce, Reuse, Recycle“ präsentierte. Da wir Architektur teilweise wie ein Müllproblem behandeln, sollten wir die Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit auch auf das Bauen anwenden: Neubauten reduzieren, Altbauten umnutzen, Materialien weiterverwenden (Interview Muck Petzet / Detail / Oktober 2012).
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Urknall der ModerneDas Bauhaus in Weimar und Dessau und der Milchhof in Arnstadt

Titelbild: Rekonstruktion des Meisterhauses von Gropius in Dessau durch das Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez

2019 schaut Deutschland auf die Gründung einer Institution zurück, die in den Augen der Welt den Anfang all dessen symbolisiert, was wir als Modernes Bauen und Design bezeichnen: das Staatliche Bauhaus in Weimar, 1919 von Walter Gropius gegründet. Was ist so besonderes daran, dass Tausende auf den Spuren dieses internationalen Aufbruchs 2019 nach Deutschland und Thüringen kommen werden?
Entwurf einer kleinen Ausstellung anhand des Milchhofs in Arnstadt in drei Akten / ab 27. November 2015 im Stadthaus Arnstadt
von Judith Rüber und Jan Kobel Urknall der ModerneDas Bauhaus in Weimar und Dessau und der Milchhof in Arnstadt weiterlesen

Das Bauhaus Weimar und seine Bedeutung für Thüringen

Dankesrede von Dr. Jan Kobel anlässlich der Verleihung des Thüringer Förderpreis für Denkmalpflege 2015 an den Milchhof Arnstadt in Schmalkalden am 12.09.2015
Titel: Detail aus den Treppenhäusern des Bauhaus Dessau / Walter Gropius (links) und Milchhof Arnstadt / Martin Schwarz (rechts). Foto rechts: Walther Grunwald

Sehr geehrte Damen und Herren,
Ende August fuhren meine Frau und ich abends nach Weimar, zu einem Vortrag von Neil MacGregor, dem Direktor des British Museums in London und designierten Chefkurator des neuen Humboldtforums in Berlin. Er sprach über das Geschichtsverständnis der Deutschen und über Deutschlands kulturelle Sonderstellung in Europa, und er sprach, wie nur ein Angelsachse über Deutschland sprechen kann – und darf: voller Bewunderung und Begeisterung.
In seiner Rede ging es auch um Buchenwald, und er sagte den Satz:
How could it happen? How did all the great humanizing traditions of Germany – Dürer, Luthers bible, Bach, the Enlightenment, Goethe, the Bauhaus and much much more fail to avert this total ethical collapse?
Wie konnte Buchenwald passieren – im Land von Bach, Goethe und Bauhaus? Und während MacGregor noch gestand, daß er darauf keine Antwort kenne, dachte ich mir: er spricht über Deutschland, aber genau genommen spricht er über Thüringen. Das Bauhaus Weimar und seine Bedeutung für Thüringen weiterlesen